Kunst im öffentlichen Raum

Auf die Plätze/Na mesta

2017 – Jahr der Kunst im öffentlichen Raum, Kärnten

Fokus: Migration

Spätestens seit Occupy Wall Street, Gezi-Park, Tahrir-Platz und Majdan ist der öffentliche Raum und mit ihm der Platz als Brennpunkt des urbanen Lebens wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückgekehrt. Waren die 90er-Jahre des 20., vor allem aber die 10er-Jahre des 21. Jahrhunderts bestimmt von der Dominanz des Internets als dem eigentlichen und neuen öffentlichen Raum, welches der Gesellschaft die Etablierung gänzlich anderer Spiel- und Verhaltensegeln verhieß und der Demokratisierung dieses Raumes Vorschub leisten sollte, ist der physische Raum plötzlich wieder zurück. Allerdings wäre es falsch, zu behaupten, es hätte sich an diesem nichts geändert. Die digitale Welt hat deutlich ihre Spuren hinterlassen, sich dem physischen Raum im wahrsten Sinn des Wortes eingeschrieben.

Die Funktion des öffentlichen Raumes erfährt über die Jahrhunderte hinweg immer wieder unterschiedliche Wandlungen, etwa beim Übergang von einer Adels- zu einer Bürgergesellschaft. Aber erst die Mediatisierung der Gesellschaft führt zu einem gewaltigen Bedeutungsverlust, denn bis ins 19. Jahrhundert decken sich Öffentlichkeit und urbaner öffentlicher Raum durch die Direktheit der verbalen und der visuellen Kommunikation. Dass die Form der Kommunikation für die Gestalt des öffentlichen Raumes von Bedeutung ist, wird erst durch die neuen Technologien der Kommunikation und der Information klar, da die Kommunikation von der räumlichen Präsenz unabhängig wird.

Seitdem ist der herkömmliche öffentliche Raum nicht mehr das, was er einmal war, der neue, digitale Raum hat allerdings nicht gehalten, was er versprochen hat. Im Zusammenspiel miteinander aber haben sie zu einer Repolitisierung des Begriffs und der Bedeutung von Öffentlichkeit geführt. Hat die Philosophin Hannah Arendt noch von der „körperlosen“ Konzeption politischen Handelns gesprochen und somit auch den digitalen Raum als Ort politischer Präsenz vorweggedacht, so spricht die Kulturtheoretikerin Judith Butler heute wieder von der Bedeutung der physischen Präsenz kollektiver Akteur_innen im physischen öffentlichen Raum. Mit dem Auftauchen der großen Menschenmengen auf dem Tahrir-Platz 2010 ist das Interesse an der Form und der Wirkung von öffentlichen Versammlungen im gesellschaftlichen Diskurs wieder entflammt. Schlicht die Erkenntnis, dass gesellschaftliche Veränderungen (Revolutionen) nicht nur den Platz, die Straße und die Form der Demonstration (damit einhergehend eben auch die Masse) brauchen – und den digitalen Raum zur Selbstorganisation dieser Massen nutzen –, führt uns die politische Dimension vor Augen. Übertragen auf den Kontext von Urbanität und Stadt als zentraler Ort von Öffentlichkeit taucht mit der gegenwärtigen Fluchtsituation, mit der Europa konfrontiert ist, auch der Begriff Migration im Diskurs über Öffentlichkeit auf.

So erklärt sich auch die Themensetzung des vom Kärntner Landeskulturreferenten Christian Benger proklamierten Schwerpunktjahres 2017, das auf Empfehlung des Kärntner Kulturgremiums nach der freien Kulturarbeit die Kunst im öffentlichen Raum ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt und den Begriff Migration zum Teil des Diskurses über den öffentlichen Raum macht.

Auf die Plätze/Na mesta, so der Titel des Jahres, reflektiert die aktuelle Relevanz des physischen öffentlichen Raumes und ist selbst als Aufruf zur Aktion und zum politischen Handeln in der Öffentlichkeit zu verstehen. Zugleich fordert er auf, das Augenmerk lokal auf bereits realisierte Kunstprojekte im öffentlichen Raum zu lenken. In seiner konsequent zweisprachigen Anlage transportiert er auch den gegenwärtigen Disput über die Bedeutung des Slowenischen als weitere Landessprache mit und gibt zugleich Auskunft darüber, welche Rolle Sprache in der Konstitution von Öffentlichkeit besitzt. Diese und ähnliche Fragestellungen stehen verbindend über den drei Hauptprogrammpunkten des Schwerpunktjahres: einem Symposium, ausgewählten Partner_innenprojekten und einer Ausstellung.

Mit dem Phänomen der Reaktivierung des physischen öffentlichen Raumes geht auch die gesteigerte Aufmerksamkeit für eine fast schon in Vergessenheit geratene Kunst im öffentlichen Raum einher. Im Zuge des Auftaktes des Schwerpunktjahres mit dem gleichnamigen Symposium im MMKK Kärnten kommen Kenner_innen zu Wort, die das Wirkungspotenzial von Kunst auf die gesellschaftliche Realität ausloten, das Spannungsfeld von Architektur und Kunst reflektieren und das gesamte Thema des öffentlichen Raumes im Kontext von Migration betrachten. Der Begriff Migration wird in seiner gesamten Breite und historischen Bedeutung verstanden. Er deutet einerseits auf das Verhältnis von Kunst und Raum und andererseits auf aktuelle gesellschaftliche Prozesse hin, die eine kulturelle Veränderung bewirken. Er inkludiert die aktuelle Flucht- und Flüchtlingsthematik genauso wie lokale Wanderbewegungen kultureller, ökonomischer und sozialer Art.

Oliver Elser, Kurator am Architekturmuseum Frankfurt, berichtet über Making Heimat, den deutschen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig 2016, der sich mit den Auswirkungen der Flüchtlingssituation beschäftigte und dem Postulat der „Arrival City“ nachging. Mit Doug Saunders, dem Autor des gleichnamigen Buches, wurden acht Thesen erarbeitet, die einen Perspektivenwechsel in der Auseinandersetzung mit Einwandererviertel anstreben und somit auch das landläufige Verständnis des Begriffs Migration infrage stellen. Gefordert wird das Konzept einer Ankunftsstadt, die alle Voraussetzungen bietet, um Migrant_innen die Möglichkeit des Ankommens in einer anderen Gesellschaft und letztlich den Eintritt in einen Integrationsprozess zu gewähren. Migration wird nicht als Übel, sondern als Notwendigkeit und somit als Positivum verstanden, das wesentlich zur Prosperität und zur Weiterentwicklung von stagnierenden Gesellschaften beiträgt.

Migration bedeutet aber genauso die Kulturalisation von Objekten im Alltag und in der kleinen, vertrauten Form, die ihren Ausdruck in kulturell bestimmten Übergangsprozessen findet – wie beispielsweise persische Töpferware, die chinesisches Porzellan imitiert, oder Hindualtäre, die in Gelsenkirchener-Barock-Elementen gebaut werden. Kunst wird in diesem Fall zum dinglichen Vehikel von Geschichte, die nicht ein für alle Mal festgeschrieben ist, sondern sich im jeweiligen Kontext im Prozess der Aneignung neu definiert.

In Leben am Limit, das als Partner_innenprojekt Teil des Programmes von Auf die Plätze/Na mesta ist, gehen Architekturstudierende der FH Kärnten mit Künstler_innen gemeinsam ganz konkret diesen Fragen nach Integration, Exklusion und kultureller Transformation nach. Am Beispiel einer Wohnhausanlage aus den 1950er-Jahren, die nach dem Zweiten Weltkrieg als Flüchtlingsquartier errichtet wurde, erarbeiten die Beteiligten Strategien und Maßnahmen, um die Wohnstandards den aktuellen Wohnbedürfnissen der Bewohner_innen anzupassen und dabei die Verbesserungen aus dem Bestand heraus zu entwickeln. Der Prozess ist ein partizipativer und involviert die Bewohner_innen von Beginn an. Die Kunst dient als Möglichkeit, den streng normierten, baulich reglementierten Raum des Wohnbaus zu verlassen und über Aspekte sozialer Integration und Entstigmatisierung nachzudenken.

Das zweite Partner_innenprojekt mit dem Titel STADT UNTER/POD GLADINO wird vom Universitätskulturzentrum UNIKUM Kulturni center univerze und vom Verein LEND | HAUER realisiert. Es handelt sich um einen Kunstparcours entlang der Kanäle Klagenfurts mit 15 temporären künstlerischen Installationen und Interventionen, die von 18 ausgewählten Künstler_innen bzw. Künstler_innengruppen gestaltet werden. Der Titel des Projektes verweist auf die Themenfelder, die sich entlang der Route auftun. Es sind dies einerseits Erosionserscheinungen in der Landschaft sowie im Stadtbild, andererseits Auflösungserscheinungen und Zerfallsprozesse in sozialer, ökonomischer und kultureller Hinsicht. Das Wasser – in Gestalt des schwankenden Grundwasserspiegels oder gelegentlicher Überschwemmungen – dient zugleich als Metapher für diffuse Ängste und Bedrohungsbilder, die derzeit den öffentlichen Diskurs bestimmen. Das südwestliche Stadtgebiet hat außerdem den höchsten Migrant_innen- bzw. Ausländer_innenanteil, weshalb nicht zuletzt das Thema Migration eine Rolle spielt.

Dieses Potenzial von Kunst, unmittelbar auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren zu können und daraus ein Instrument im Umgang mit öffentlichen Raum zu entwickeln, exemplifiziert Sophie Goltz im Rahmen des Symposiums. Sie tut dies anhand des Modells der Stadtkuratorin, das die Hansestadt Hamburg 2014 installiert hat, um eine Neuausrichtung ihres bereits Anfang der 1980er-Jahre ins Leben gerufenen Kunst-im-öffentlichen-Raum-Programmes zu erzielen. Dieses Modell diente unter anderem auch dem Land Niederösterreich als Vorbild für das Programm „Public art“.

Die Entkoppelung der Begriffe „Kunst am Bau“ und „Kunst im öffentlichen Raum“ bzw. die Präzisierung der jeweiligen Funktionen, die Ausarbeitung der Gemeinsamkeiten, aber auch der Differenzen ist Mitaufgabe des Symposiums wie des Schwerpunktjahres generell. Ein weiterer zentraler Aspekt ist, ein grundlegendes, zeitgemäßes Verhältnis von Kunst und Architektur im Kontext von städteplanerischen Überlegungen auszuloten und über neue, alternative Formen der Kooperation nachzudenken. Dabei gilt es, Anwendungs- und Ausdrucksformen von Kunst zu diskutieren, die mit den Begriffen temporär, dauerhaft, partizipativ und interagierend nur sehr fragmentarisch beschrieben sind. So geht es auch darum, Augenmerk auf die Transparenz von Entscheidungsprozessen und die Definition von gesetzlichen Rahmenbedingungen (auch im Vergleich zu anderen Ländermodellen) zu legen. Der Begriff „öffentlich“ und seine Relevanz für alle öffentlichen Institutionen gehören verhandelt und aktualisiert. Damit einhergehend muss allen am Entstehen des öffentlichen Raumes Beteiligten und in Folge auch seinen Nutzer_innen die Bedeutung der Thematik ins Bewusstsein gerufen werden. Ganz besonders gilt dies für die lokale Situation, in der viele der angeführten Punkte im Diskurs über Öffentlichkeit und die Rolle von Kunst und Kultur kaum oder nur wenig Relevanz besitzen. Das Institut für Kulturanalyse der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Celovec unter der Leitung von Klaus Schönberger widmet sich daher ganz konkret dem Thema der politischen Intervention im öffentlichen Raum, die anhand unterschiedlicher künstlerischer Strategien in einem eigenen Seminar reflektiert wird.

Das Schwerpunktjahr findet seinen Abschluss in einer Ausstellung im Künstlerhaus und im Haus der Architektur, in der die Erkenntnisse des Symposiums, die Resultate der einzelnen Projekte und auch der Status quo der bisher in Kärnten realisierten Kunstprojekte im öffentlichen Raum (dauerhafter und temporärer Art) dokumentiert werden. Begleitend zur Ausstellung erscheint ein Handbuch, das den gegenwärtigen Diskurs über Kunst im öffentlichen Raum abbildet und mit einem Leitfaden für alle Protagonist_innen des öffentlichen Raumes versehen ist.
Hier schließt sich somit der Kreis der Aktivitäten, die im Laufe des Jahres gedacht, initiiert, entwickelt und erprobt werden, in der Hoffnung, auch über das Jahr hinaus wirken zu können.

Auf die Plätze, fertig, los!

 

Andreas Krištof
Kurator section.a, Mitglied des Kärntner Kulturgremiums

 

Der Beitrag wurde in der Kulturzeitschrift „Die Brücke“, 2017 publiziert.

 

 

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