Kennst du die Regeln?
Der öffentliche Raum ist kein Freiraum. Er sollte jedoch frei von Willkür sein. Denn eine der entscheidenden Trennlinien zwischen den Räumen, die im Eigentum der Allgemeinheit stehen, und jenen im Privateigentum ist der Umstand, dass der private Raum keinem geregelten Verfahren unterworfen ist, um Benutzung zu gestatten oder zu verbieten. Wahrhaft öffentliche Räume hingegen sind geregelte, von öffentlichen Stellen verwaltete Räume. Die an der Verwaltung Beteiligten üben dabei immer nur jenen Teil der Macht aus, der ihnen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten zukommt.
Die bisweilen komplizierten Bewilligungsverfahren folgen aus diesem Umstand. Obwohl man sich manchmal über durchsetzungsstarke Einzelpersonen mit Entscheidungsgewalt freuen würde, ist es als demokratiepolitischer Gewinn zu werten, dass über das Wohl und Wehe im öffentlichen Raum eben nicht allmächtige Individuen entscheiden.
Aus dieser Verfasstheit – und aus der Kunstfreiheitsgarantie der Verfassung – folgt jedoch auch, dass künstlerische oder inhaltliche Fragen im Genehmigungsverfahren nur dort eine Rolle spielen sollten, wo sie mit sicherheitstechnischen, rechtlichen oder widmungsrelevanten Einschränkungen kollidieren. Die den Privaten zugebilligten Geschmacks- oder Qualitätsurteile sind nur außerhalb des engeren bürokratischen Genehmigungsverfahrens – als Teil des politischen Prozesses – legitim, wobei es gute Übung geworden ist, diesen Teil über Wettbewerbe, Jurys oder Kurator_innen zu objektivieren.
Eine beliebte Methode zur Umgehung des Gegensatzes zwischen privatem und öffentlichem Raum ist die Übertragung der Eigentümer_innenrolle an privatrechtlich organisierte Gesellschaften, wie etwa im Wiener MuseumsQuartier, dessen Nutzung damit für einen Teil der Öffentlichkeit eingeschränkt werden kann. Denn der Verfassungsgerichtshof hält etwa für die wahrhaft öffentlichen Räume ein Recht auf Betteln hoch, während es zulässig ist, diese Art des Lebensunterhalts im „privaten“ MuseumsQuartier über die Hausordnung zu verbieten. Die wichtigste Aufgabe im öffentlichen Raum ist daher, dafür zu sorgen, dass er einer bleibt.
Martin Fritz
Merz Akademie, Stuttgart